Oldenburg Viele Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. Die Nachfrage zumindest zum Teil decken könnten Geflüchtete. Allerdings gefährden bei ihnen häufig sprachliche, insbesondere fachsprachliche, Defizite, den Erfolg einer beruflichen Ausbildung. Mit dem niedersachsenweit einmaligen Projekt „1+2“ wollen die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer (IHK), der Verein „pro:connect“ (Oldenburg) und die Berufsbildenden Schulen (BBS) Wechloy einen neuen Weg gehen und Ausbildung mir mehr Sprachförderung verzahnen.
„Das Besondere ist, dass die Ausbildungszeit um ein Jahr verlängert wird“, sagt Stefan Bünting, Leiter im Bereich Aus- und Weiterbildung der Oldenburgischen IHK. Dafür stehe die „1“ im Projektnamen. Die „2“ wiederum stehe für die zweijährigen Ausbildungsberufe, mit denen das Projekt zunächst beginne. Konkret sind dies die Ausbildung zum Verkäufer/in und zum Fachlagerist/in.
Sprache im Mittelpunkt
In der Praxis bedeute dies, dass die jungen Leute im ersten Jahr an zwei Tagen in der Woche eine intensive Sprachförderung erhalten, an einem Tag die Berufsschule besuchen und an zwei Tagen im Betrieb tätig sind. Im zweiten Jahr stehen je anderthalb Tage Sprachförderung und Berufsschule auf dem Programm und zwei Tage im Betrieb. Im dritten Jahr verbringen die jungen Leute drei Tage im Betrieb und jeweils einen Tag in der Berufsschule und beim Deutsch-Unterricht.
„Dieses Modell macht etwas ganz Ungewöhnliches: Es fängt vorne an“, sagt Oliver Pundt, Leiter der BBS Wechloy. Schon im Vorfeld werde mittels einen Kompetenzfeststellungsverfahrens in Kooperation mit „pro:connect“ und Sprachlernkräften der BBS der spezifische Förderbedarf der Geflüchteten ermittelt und bei der Unterrichtsplanung berücksichtigt. Zudem hatten Geflüchtete und Betriebe die Möglichkeit, sich bei einem Praktikum kennenzulernen.
Versuche, Geflüchtete über Einstiegsqualifizierungen in eine Berufsausbildung und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, seien in der Vergangenheit oftmals nicht geglückt, sagt Heiner Paffenholz, bei der IHK zuständig für das Projekt. Selbst bei einem guten allgemeinen Sprachniveau sei es vielen Geflüchteten schwergefallen, die oft komplexen fachsprachlichen Inhalte nachzuvollziehen. „Dies führte dann oftmals zu Demotivation und zum Abbruch der Einstiegsqualifizierung“, sagt Paffenholz.
Insgesamt 50 Geflüchtete hätten den Sprachtest absolviert. Mit 15 jungen Frauen und Männern zwischen 17 und 35 Jahren, u.a. aus Afghanistan, Syrien, Irak, Irak und afrikanischen Ländern, ist das Projekt am Montag gestartet.
Viele Geflüchtete würden solch ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland aus ihren Heimatländern gar nicht kennen, sagt Ernst Jünke von „pro:connect“. Deshalb gehe auch darum, zu überzeugen, „dass eine Ausbildung über drei Jahre keine verlorene Zeit ist, sondern eine berufliche und private Lebensperspektive schafft“.
Sechs Firmen beteiligt
Jünke lobt auch die hohe Bereitschaft regionaler Betriebe, sich an dem neuen Ansatz zu beteiligen. Zum Start sind mit der Verbrauchermarktkette Aktiv & Irma, Edeka Minden-Hannover mit dem Logistikzentrum in Neuenkruge, Edeka Husmann, Poco, Terrasse 2000 und dem Fahrzeugteile-Spezialisten Vierol sechs Ausbildungsunternehmen dabei. „Die Unternehmen investieren viel Zeit und Geld“, sagt Bünting. Denn die Ausbildung dauere nicht nur länger, es werde auch von Anfang an die volle Ausbildungsvergütung gezahlt.
Vorbild in Coburg
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Auch das Kultusministerium unterstützt das Projekt – allerdings vor allem moralisch, nicht durch zusätzliche personelle oder finanzielle Mittel, wie Pundt anmerkt: „Dennoch war uns schnell klar, dass wir bei dem Projekt dabei sind, weil wir von dem Konzept und den Erfolgsaussichten überzeugt sind.“
Schlecht stehen die Chancen nicht: Im bayerischen Coburg, wo es ein ähnliches Projekt „Ausbildung 1+3“ mit dreijährigen Ausbildungsberufen bereits seit 2016 gibt, seien die Erfahrungen bislang sehr gut, so Bünting. Gelinge das auch in Oldenburg, sei angedacht, das Projekt künftig auch auf andere Berufsbildende Schulen, Regionen und Berufe auszudehnen.