Einswarden Wer am Vorabend die Bürgerversammlung im Einswarder Mehrzweckhaus miterlebt hatte, war mit dem Gefühl nach Hause gegangen, dass die Bewohner des Stadtteils mit den geplanten Sanierungsmaßnahmen im Bereich der Niedersachsenstraße ganz gut leben können. Auch für den Vorschlag der Stadtverwaltung, den Marktplatz aufzugeben und ihn mit Mehrfamilienhäusern zu bebauen, zeigten sie sich aufgeschlossen. Einige Bürger gaben lediglich zu bedenken, dass die Gebäude nicht zu mächtig sein sollten und an anderer Stelle ein Ersatz für die wegfallenden Parkplätze geschaffen werden müsse. Als das Thema 24 Stunden später im Bauausschuss des Stadtrates zur Sprache kam, sah die Sache aber auf einmal völlig anders aus.
Im Gegensatz zu den Teilnehmern der Info-Veranstaltung in Einswarden, zu der gut 60 Bürger gekommen waren, übten in der Ausschusssitzung am Mittwoch gleich mehrere Ratspolitiker scharfe Kritik an dem Konzept für das Förderprogramm Stadtumbau West. Die Reaktionen reichten von „überrascht“ und „irritiert“ bis zu „geschockt“.
Sowohl die Fraktionsvorsitzenden von CDU und FDP, Horst Wreden und Manfred Wolf, als auch die SPD-Ratsherren Ulf Riegel und Lutz Schubert machten deutlich, dass der Einswarder Marktplatz erhalten bleiben und nicht bebaut werden sollte. Darüber hinaus stellten sie und weitere Ausschussmitglieder die grundsätzliche Frage, ob die Schaffung von neuen Wohnungen in Einswaden überhaupt Sinn habe. Schließlich gebe es in dem kriselnden Stadtteil schon genug Leerstände.
Ulf Riegel, der auch Vorsitzender des Bürgervereins Einswarden ist, räumte ein, dass auf dem Marktplatz „nur noch wenig Leben ist“. Dennoch habe das Areal eine wichtige Funktion – und zwar als Parkplatz. Besonders die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, deren Gerätehaus sich direkt am Marktplatz befindet, sowie die Besucher des Mehrzweckhauses und des Kindergartens würden die Autostellflächen benötigen.
SPD-Vormann Wilfried Fugel und FDP-Fraktionschef Manfred Wolf betonten, dass die Stadtumbau-Ideen der Verwaltung nicht im Einklang mit den geltenden Ratsbeschlüssen für die Stadtteilentwicklung stünden. Sie verwiesen auf die Vorgaben des vor einigen Jahren ausgearbeiteten „Steckbriefs“ für Einswarden. Darin sei unter anderem festgehalten worden, dass der Stadtteil nicht mehr Wohnungen, sondern in erster Linie zusätzliche Gewerbe- und Industrieflächen benötige.
Schrotthäuser abreißen
Auf allgemeine Zustimmung stieß immerhin der Vorschlag der Bauverwaltung, mit den erhofften Geldern aus dem Förderprogramm Stadtumbau West den Abriss von Schrottimmobilien zu finanzieren. Wie berichtet, sollen die maroden Wohnblöcke an der Niedersachsenstraße 52 bis 62 sowie das baufällige Privathaus an der Ecke Niedersachsenstraße/Heiligenwiehmstraße dem Erdboden gleichgemacht werden, um Platz für öffentliche Flächen zu schaffen.
Für das 4500 Quadratmeter große Areal an der südlichen Niedersachsenstraße plant die Verwaltung nach dem Abbruch der vier Gebäudekomplexe, die der Nordwohnen-Gesellschaft gehören, die Herrichtung einer „urbanen Fläche“. Baudezernentin Ellen Köncke und Stadtplaner Tim Lorenz gaben sich zuversichtlich, dass sich dort ein Café sowie weitere Läden und Dienstleister ansiedeln lassen. „Diese Freifläche möchten wir für eine Funktion nutzen, die zurzeit in Einswarden fehlt“, sagte Tim Lorenz. Damit meinte er einen Treffpunkt für die Bürger.
Zudem könne die Schaffung des neuen Platzes zwischen Niedersachsenstraße und Friesenstraße die Eigentümer der benachbarten Immobilien dazu motivieren, in die Modernisierung ihrer Häuser zu investieren. Ein solcher Initialzündungseffekt sei auch bei der City-Süd-Sanierung in Nordenham zu beobachten gewesen. „Einer fängt an“, sagte Tim Lorenz, „dann ziehen andere nach.“
Angesichts der Skepsis gegenüber einer Marktplatz-Bebauung regte SPD-Fraktionsvorsitzender Wilfried Fugel an, die neuen Wohnhäuser lieber auf der künftigen Freifläche an der südlichen Niedersachsenstraße zu errichten. Dann könnten im Umfeld des Marktplatzes ein Café und Dienstleister angesiedelt werden. Die Verwaltung bekam den Auftrag, für diese Variante eine Alternativplanung zu entwerfen und sie in der nächsten Bauausschusssitzung vorzustellen.
Allerdings ist nach Einschätzung des Stadtplaners Tim Lorenz der Marktplatz das deutlich attraktivere Areal für Wohnungsbauinvestoren. Der freie Platz, der sich inklusive der angrenzenden Grünfläche über rund 7500 Quadratmeter erstreckt, biete beste Voraussetzungen für eine Bebauung mit variablen Gestaltungsmöglichkeiten.
Erosion der Außenbezirke
Tim Lorenz hob hervor, dass die Schaffung neuer Wohnungen für Einswarden überlebenswichtig sei. Es treffe zwar zu, dass es in dem Stadtteil viele Leerstände gibt. Aber was dort fehle, seien moderne Wohnungen. Nur mit einem solchen Angebot ließen sich Menschen nach Einswarden locken und die Abwanderung stoppen. Aus städtebaulicher Sicht sei es „höchst gefährlich“, Neubauvorhaben nur auf den Innenstadtbereich zu konzentrieren.
„Durch viele Neubauten in der Innenstadt drücken wir die anderen Stadtteile an die Wand“, sagte er. In der Folge drohe eine „Erosion“ der Außenbezirke.
Ähnlich äußerte sich der Einswarder CDU-Ratsherr Dr. Tilman Kaethner. Er bezeichnete den Stadtumbau West als große Chance für den Stadtteil und warnte davor, das Konzept der Verwaltung „kaputtzureden“. Grünen-Ratsherr Mario Kauschmann sagte, dass er mit dem Konzept der Verwaltung „gut leben“ könne.