Tiraspol Der Fahrplan am Bahnhof von Tiraspol ist ebenso überschaubar wie die Zahl der ankommenden Ausländer. Gerade rollt der Zug aus Moldawiens Hauptstadt Chisinau in Transnistriens Hauptstadt ein, er wird von hier weiter ans Schwarze Meer fahren.
Der drahtige Mann vor dem betagten, gepflegten Bahnhofsgebäude trägt helles Hemd, blaue Hose, Dienstmütze und Sonnenbrille. Freundlich sagt er zu einem Berliner, der unschlüssig seine Kamera in der Hand hält: „Natürlich können sie Fotos machen. Kein Problem.“ Der Gast lässt sich nicht zweimal bitten.
Transnistrien sagte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion umgehend von der gerade unabhängig gewordenen Republik Moldau los, wird aber nicht einmal von Russland anerkannt – und ist vielen Reisenden suspekt. Doch wer ein paar Tage in Tiraspol bleibt, kann seine Vorurteile möglicherweise abbauen.
Freundlicher Eindruck
Keiner der vier Ausländer wartet heute früh mehr als zehn Minuten am Schalter auf sein Visum, das es auch an den Grenzstraßen gibt. Behördengänge sind nicht mehr nötig, Hotels und Apartments lassen sich wie überall problemlos im Internet buchen.
Die Menschen auf der Straße machen einen zurückhaltenden und freundlichen Eindruck. Keiner hält die Hand auf. Die Toilettenfrau am Bahnhof bleibt jedoch unerbittlich und öffnet auch für einen Euro nicht die Tür. Zum Glück hilft die Dame am Wechselschalter schnell, tauscht Euro, Dollar und Russische Rubel in Transnistrische Rubel. Damit öffnen sich – für Touristen extrem preiswert – Taxis, Busse, Märkte, Restaurants – und Toiletten.
City wie Freilichtmuseum
Die City hat keine klassischen Sehenswürdigkeiten, aber gleicht einem Freilichtmuseum voller sowjetischer Errungenschaften (Panzer, Paradeplätze, Büsten und Statuen von Lenin und anderen Helden des Kommunismus) – sie ist ziemlich einzigartig. Hammer und Sichel, Symbol des Marxismus-Leninismus, prangen auf Uniformen, Fahnen und Plakaten und sind staatlich verordnet.
Die freundliche Dame an der Rezeption im schlichten Hotel „Sofia“ in der Strada Karl Liebknecht spricht in ihr Telefon auf Russisch. Auf dem Display leuchtet auf: „Möchten Sie jetzt bezahlen oder später?“
Tiraspol ist in drei Stunden bequem zu Fuß zu erkunden. In den nahen Straßen mit den Namen von Rosa Luxemburg, Karl Marx und Lenin stehen Wohnblöcke mit gepflegtem Grün und Spielplätzen. Vielerorts schaukeln und klettern Kinder. Am Bummelboulevard Straße des 25. Oktober schmücken Blumen, blühende Sträucher und Nadelhölzer die Bürgersteige. Kein Abfall am Straßenrand.
Lenin auf hohem Sockel
Läden, Supermärkte und ein großer „Cyber Shop“ wechseln sich mit Amtsgebäuden, Cafés und Restaurants ab. Das halbwegs elegante „Mafia“ hat flächenmäßig sozialistische Größe. Auch draußen sitzen an sonnigen Tagen viele Kunden, genießen Limo, Bier, Blini, Steak und Schokoladentorte. Alles kostet im Vergleich zu Deutschland etwa knapp die Hälfte. Für die meisten Tiraspoler ist das sehr teuer.
Der riesige Suworow-Platz eignet sich prächtig für Paraden und ist umsäumt von Grünanlagen, Fahnen, Verwaltungsgebäuden, Monumenten und Denkmälern. Stadtgründer Alexander Suworow grüßt auf steinernem Ross.
In der Nähe fotografiert ein Vater seinen Nachwuchs auf einem sowjetischen T-34 Panzer, Teil der Ehrengedenkstätte für im Krieg gefallene Soldaten. Schräg gegenüber posieren zwei Ausländer vor einer mächtigen Statue von Lenin auf einem hohen Sockel.
Auf dem Zeleny-Markt wird der Geldbeutel geschont. Ein Kilogramm frisch geschälte Walnüsse zum Beispiel kostet umgerechnet nur 2,50 Euro. Das Verkäuferpaar lässt sich gern fotografieren, strahlt und winkt. Bauern aus nahen Dörfern bieten auch Melonen, Äpfel, Gewürze, Tomaten und Kartoffeln an.
Junge Kathedrale
Ein paar Schritte vom Markt entfernt steht die erst 20 Jahre alte Russisch-Orthodoxe Kathedrale der Stadt mit golden glänzenden Kuppeln. Am nahen Fluss Dnister, der sich hier in Kurven schlängelt, dröhnt Musik von einem der wenigen Ausflugsdampfer. Am Ufer, auf einer Brücke und zwischen den Bäumen turteln Liebespaare.
Bender, die kleine Nachbarstadt 16 Kilometer westlich von Tiraspol, halb moldawisch, halb transnistrisch, ist ein Muss für Touristen. Die Festung Bendery aus dem frühen 16. Jahrhundert gehörte länger zum Osmanischen Reich. Besucher klettern über eine Wendeltreppe auf den Wehrturm. Der Blick schweift über Felder, Fluss, Brücke und zu den Hochhäusern des Grenzstädtchens Bender.
Am Rande der Festung steht das noble Hotel „Stary Bastion“. Der Barmann ist gut im Small Talk. „Wir haben nun auch mehr internationale Gäste“, sagt er auf Englisch. „Zum Glück ist die politische Situation heute entspannter.“
Umsonst ins Stadion
Dafür gibt es am modernen Fußballstadion des FC Sheriff Tiraspol Verständigungsprobleme. Alle Kassen sind geschlossen. Doch die Einheimischen gehen durch Drehkreuze und Taschenkontrollen. Ein Ordner sieht den hilflosen Touristen, öffnet das Drehkreuz und ruft laut: „Free, free!“ Freier Eintritt. Die Heimmannschaft gewinnt 5:0. Sie ist Meister Moldawiens und hat Erfahrung in der Europa League.
Aus Sicht der Regierung in Chisinau ist Tiraspol voller Teil Moldawiens. Und die Kicker vom FC Sheriff sind glücklich, dass sie nicht gegen transnistrische Dorfvereine antreten müssen. Im Sport ist hier die Welt einfacher als in der Politik.