Oldenburg Das Urteil gegen den Ex-Krankenpfleger Niels Högel ist ein Jahr nach seiner Verkündung durch das Landgericht Oldenburg immer noch nicht rechtskräftig. „Die Sache liegt dem 3. Strafsenat vor. Es ist aber noch kein Zeitpunkt für eine Entscheidung absehbar“, teilte auf Anfrage der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe mit Blick auf zwei Revisionsanträge mit. Die kompletten Verfahrensunterlagen inklusive Stellungnahmen gingen im März beim BGH ein.
Sowohl Högel als auch ein Nebenkläger hatten gegen das Urteil vom 6. Juni 2019 Revision eingelegt. Damals war der heute 43-Jährige Högel wegen 85-fachen Mordes an Patienten zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In dem Komplex stehen weitere Verfahren gegen Ex-Klinikmitarbeiter aus Delmenhorst und Oldenburg im Raum. Zudem laufen Ermittlungen wegen Meineids gegen Zeugen.
Ein Überblick über die insgesamt vier Rechtskomplexe.
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1. Revision
Der Verurteilte Högel selbst legte Revision gegen das Urteil ein. Das tat auch ein Nebenkläger. Die Sache liegt in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof (BGH). Allerdings dauerte es lange, bis das 150-Seiten-Urteil schriftlich erstellt, zugesandt und mit Stellungnahmen und Gegenstellungnahmen von Verfahrensbeteiligungen und Behörden inklusive Generalbundesanwalt die 3. Strafkammer des BGH erreichte. Das war am 18. März, also gut neun Monate nach dem Urteil. „Wann mit einer Entscheidung des Senats zu rechnen ist, kann ich im jetzigen Stadium des Verfahrens noch nicht abschätzen“, sagte BGH-Sprecherin Dietlind Weinland.
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Das Verfahren ist komplex, die Zahl der Mordfälle hoch, das übersandte Material umfangreich. „Zeitlich ist das alles im Rahmen“, sagte deshalb der Sprecher des Landgerichtes Oldenburg, Torben Tölle. Die Revisionsentscheidung hat Auswirkungen auf Högels Situation. Es sind noch Verfahren anhängig, in denen er als Zeuge vernommen werden soll. Solange die Entscheidung über die Revisionsanträge aussteht und das Urteil nicht rechtskräftig ist, kann er sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Wird das Urteil rechtskräftig, dürfte er bald als Zeuge wieder im Gerichtssaal sitzen.
2. Zwei weitere Verfahren
Frühere Kollegen von Högel, Mitarbeiter und Ex-Mitarbeiter der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst - wo Högel im Zeitraum von 2000 bis 2005 seine Opfer mit einem Medikament zu Tode spritzte - werden sich wegen des Vorwurfs des Totschlags durch Unterlassen verantworten müssen. Gegen vier - teils frühere - Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst wurde die Anklage bereits 2018 zugelassen, gegen fünf aus der Oldenburger Klinik reichte die Staatsanwaltschaft Anklage ein, das Landgericht hat sie aber noch nicht zugelassen. Eine Prognose, wie und wann die Verfahren eröffnet beziehungsweise zugelassen werden sollen, vermag am Landgericht Oldenburg derzeit niemand zu geben.
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„Um die Verfahren sinnvoll zu eröffnen, muss die Entscheidung über die Revision abgewartet werden“, so Tölle. „Wir arbeiten weiter. Es ist nicht so, dass da etwas versanden würde.“ In dem Prozess gegen die Oldenburger Beschäftigten machte die Schwurgerichtskammer des Landgerichts im Dezember 2019 in einer vorläufigen Einschätzung klar, dass allenfalls eine Teilzulassung der Anklage in Frage kommt. Sollte das der Fall sein, könnte die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht (OLG) Beschwerde einlegen.
3. Befangenheitsanträge
Einige der Angeschuldigten aus Oldenburg wollten die drei Richter der Schwurgerichtskammer - darunter auch den Vorsitzenden Bührmann - gesetzlich von dem Verfahren ausschließen, weil sie möglicherweise als Zeugen in den noch anstehenden Prozessen gehört werden könnten. Diesen Antrag wies das Oberlandesgericht vor zwei Wochen zurück. Nun muss eine Kammer des Landgerichtes noch über Befangenheitsanträge gegen die drei Richter entscheiden. Es stehen derzeit noch Stellungnahmen aus. Auch gegen diese Entscheidung wäre ein Beschwerdegang vor das OLG möglich.
4. Ermittlungen wegen Verdachts auf Meineid
Im vierten Komplex laufen noch Ermittlungen. „Es ist derzeit noch völlig offen, ob es zu Anklagen kommt“, sagte der Sprecher der Oldenburger Staatsanwaltschaft, Martin Koziolek. In sieben Fällen werde der Verdacht auf Falschaussagen unter Meineid geprüft, in einem Fall eine mutmaßliche uneidliche Falschaussage. Meineid wird als Verbrechen, Falschaussage ohne Vereidigung als Vergehen gewertet. Alle Zeugen sagten im Prozess gegen Högel aus, beriefen sich aber immer wieder auf Erinnerungslücken. Ursprünglich liefen die Ermittlungen in zehn Fällen. Drei Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich ein.