Wildeshausen „Flüchtlinge und Vertriebene in Wildeshausen nach dem Zweiten Weltkrieg“ – ein eher nüchterner Titel für eine lokale Betrachtung der Zeit nach den Kriegswirren. Ein Kapitel deutscher Geschichte, von Vertreibung, Elend und Neuanfang, aber auch von geradezu sich aufdrängender Aktualität.
Der Vortrag „Geschichte im Rathaus“ von Peter Heinken, der den geschichtlichen und aktuellen Einstieg lieferte, und die Beiträge der Zeitzeugen Heinz-Joachim Kunz und Manfred Rollié fanden am Mittwochabend mit weit mehr als 100 Zuhörern im Rathaussaal große Resonanz. Gastgeber war der Bürger- und Geschichtsverein.
Verbindung in Gegenwart
Heinken, Mitautor der Wildeshauser Chronik, berichtete von der aktuellen Entwicklung der Flüchtlingsströme. „Über eine Million Menschen sind gekommen. Ihre andere Lebensweise, Kultur und Religion machen Vielen Angst, und es werfen sich damit scheinbare neue Fragen auf, die gar nicht so neu sind.“
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Damit schlug er den Bogen zu den zwölf Millionen Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach Wildeshausen mit etwa 5400 Einwohnern kamen bis Ende 1949 fast 4000 Menschen, die durch den Krieg und seine Folgen eine neue Heimat suchten. „Sie kamen mit dem, was sie tragen konnten und fanden eine überfüllte Stadt sowie einen Mangel an fast allem“, so Heinken.
Heinz-Joachim Kunz verließ mit sieben Jahren im Januar 1945 den Hof in Ostpreußen. Am 31. Juli 1945 kam er mit Mutter, Oma und Tante nur mit Handgepäck in Pestrup an. Versuchte Einkäufe, Notunterkunft für zwei Tage in Bühren, dann die endgültige Quartierzuweisung in Bühren und Pestrup. Die amtliche Erfassung erfolgte am 6. August 1945.
Die Gefühle und Empfindungen als Flüchtlinge, die weitere Ankunft von Flüchtlingen aus Schlesien im Juni 1946, Wohnraumnot, das Zusammenrücken, aber auch positive neue Kontakte mit Schulfreunden und die plattdeutsche Sprache hätten Kunz geprägt. Schnell wurde versucht, das Leben in die eigene Hand zu nehmen, aber immer waren Sorgen präsent: Luftbrücke Berlin, Kalter Krieg, Korea-Krieg. Mit dem Wunsch nach Frieden in der ganzen Welt beendete Kunz seinen Zeitzeugenbericht.
Manfred Rollié kam 1946 als 16-Jähriger mit Rucksack und Aktentasche aus Schlesien nach Wildeshausen, wo er seine Eltern wiederfand. „Wer erinnert sich schon gern an die Not und das Elend nach dem Ende des 2. Weltkrieges? Und doch ist es manchmal wichtig, sich solche Situationen wieder zu vergegenwärtigen; denn wir haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend komfortabel gelebt. Nirgendwo steht geschrieben, dass dies so weitergeht“, so Rollié. „Wir kamen nicht in ein blühendes Land, sondern auch das verbliebene Deutschland lag zum großen Teil in Schutt und Asche. Alle Strukturen, die das Land regierbar machen konnten, waren kaputt.“
Die Folge: Die Bevölkerung rückte zusammen, Vertriebene und Einheimische arbeiteten gemeinsam. „Das war die erste gewaltig große Leistung unseres Volkes. Als zweite schätze ich das plötzlich mögliche Zusammengehen von Protestanten und Katholiken in der Politik.“
Zu Fuß und mit der Bahn
Rollié berichtete über die Tage allein ohne seine Familie und wie es ihn letztendlich nach Wildeshausen verschlug. „Über das Durchgangslager Uelzen erfuhr ich schließlich, dass meine Eltern nach Wildeshausen/Ganderkesee weitergefahren waren. Ich setzte mich mit meiner kleinen Habe von Winsen an der Luhe über Hamburg-Harburg nach Bremen in Bewegung und fuhr zunächst mit dem Zug bis Delmenhorst. Da es über Stunden keine Anschlussverbindung gab, ging ich zu Fuß nach Ganderkesee. Dort traf ich einen Mann aus meiner Heimatstadt, der mir sagen konnte, dass meine Eltern nach Wildeshausen weitergefahren waren.“