Strackholt Sie kommen nicht erst, seitdem Angela Merkel sie willkommen hieß. Sie kamen schon früher. Und sie werden, solange die Welt ungerecht ist, immer irgendwohin gehen und dort ankommen: Menschen, für die es in der Heimat kein Auskommen, kein menschenwürdiges Dasein mehr gibt.
Film schaut hin
Oft sind es junge Männer, die zuerst aufbrechen, um für ihre Familien in einem anderen Land eine Zukunft in Frieden und Freiheit zu suchen. So wie Aman, Mohammed, Ali, Hassan und Osman aus Eritrea, die sich in dem Dokumentarfilm von Lisei Caspers unverhofft in der ostfriesischen Provinz wiederfinden – im 1500-Seelendorf Strackholt, rund 20 Kilometer von Aurich entfernt.
„Gestrandet“ beginnt mit der unspezifischen Angabe „Neujahr“ sowie einigen Einheimischen, die den fünf Männern aus Afrika radebrechend die Regeln eines traditionellen Wurfspiels erklären. Es folgt die Rede eines Mannes, der von schwierigen Zeiten, von Schlagzeilen aus kriegsgeschüttelten Regionen spricht und mit Verweis aufs Gebot der Mitmenschlichkeit zu helfen auffordert.
Später erfährt man, dass dieser Mann eine Baufirma besitzt; vielleicht hat er in der Gemeinde auch ein Amt inne. Die Regisseurin scheint das im Detail nicht zu kümmern; ihr Film zielt elegant an gängigen Erwartungen vorbei. Die Fluchtgeschichten werden zwar paraphrasiert, aber nicht mitleidheischend ausgebreitet. Der Film schaut bloß genau hin und fragt nach, was die einen von den anderen denken und wie sie miteinander umgehen.
Zwei Freiwillige, die sich um die Angekommenen kümmern, zieht Caspers dann doch vor: den pensionierten Schulleiter Helmut Wendt, der den Flüchtlingen Deutsch beibringt, und die Journalistin Christiane Norda, die die Eritreer zwei- bis dreimal in der Woche besucht, Kuchen mitbringt und ihnen bei Behördengängen sowie beim Lesen der in Beamtendeutsch verfassten Briefe hilft.
Einmal lässt Norda sich auf einer Landkarte die Fluchtroute erläutern: 33 brachen auf; doch nur elf haben es übers Meer geschafft. Einer der fünf in Strackholt spricht Englisch, einer von ihnen ist gehörlos und kommuniziert in Gebärden. Er scheint der Offenherzigste des Quintetts zu sein, doch das liegt eventuell allein in der Wahrnehmung der Regisseurin.
Über ein Jahr hat Caspers die Migranten, Wendt und Norda begleitet, sie immer wieder aufs Neue befragt. Die lange Dauer und die Gegenwart, in der sie spielt, verleihen dieser puristisch beobachtenden Studie ihre eigenwillige Dynamik.
Langwierig
Wird erst noch neugierig nach Herkunft gefragt, nach Unterschieden geforscht und gut gemeint Integration geübt, lässt die Langwierigkeit der sich hinziehenden Asylgesuche immer mehr Bedrückung, Frustration und Hoffnungslosigkeit aufkommen. Nicht nur bei den Flüchtlingen, sondern auch bei denen, die sie unterstützen. Das sei so nicht auszuhalten, donnert Norda irgendwann, und Wendt meint erschöpft, er sei die Sache mit völlig falschen Erwartungen angegangen.
Auf dem Höhepunkt der Resignation bricht Caspers’ Film ab. Um im Nachklapp, der ein halbes Jahr später aufgenommen wurde, wieder hoffnungsvollere Töne anzustimmen: Es geht ja doch, irgendwie, und vielleicht klappt es auch mit den 80 Flüchtlingen, die der Kreis Aurich danach aufnehmen musste.