Westerstede Stilgerecht könnte die Oldenburgische Landeskirche an die große Glocke hängen, welche neuen Anschübe sie für ihre Kirchenmusik leistet. Macht sie aber nicht. Sie lässt eher die musikalischen Resultate in ihren sechs Kirchenkreisen tönen und sprechen. Wer das spüren will, sollte ein Konzert gehört haben wie das am Reformationstag in der St.-Petri-Kirche in Westerstede.
Karin Gastell wirkt dort seit April als Kantorin. Das Aktionsfeld in der Ammerländer Kreisstadt wurde zur A-Stelle aufgewertet. Die zuvor in Bremen und als Leiterin des Oldenburger Jugendchores tätige Gastell hat dazu ein herausforderndes Programm umgesetzt: Geistliche Werke für Soli, Chor und Orchester von Felix Mendelssohn-Bartholdy und seiner Schwester Fanny Hensel (eindrucksvoll die Kantate „Hiob“); zwei romantisch angehauchte Orchesterbearbeitungen Johann Sebastian Bachscher Sätze durch Stokowski; und im Zentrum Bachs Altsolo-Kantate BWV 170 „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust.“
Beate Besser, die in der Landeskirche zuständige Kirchenmusikdirektorin, sieht die große Linie mit solchen akribisch erarbeiteten und mutigen Programmen bestätigt. „Wir brechen seit fünf, sechs Jahren Altes auf“, sagt sie. Wie können wir uns bis 2030 aufstellen? Das sei Frage und Ansporn gewesen. Bei den 18 Vollzeit-Stellen sind neun mit A dotiert, neben der in Westerstede aktuell auch die in Vechta. Sogar zwei Pop-Beauftrage sind im Einsatz. „Anordnen wollen wir nichts. Musik zu intensivieren, dazu muss die Basis selbst Lust und Überzeugung entwickeln,“ darauf legt Besser Wert.
Wie die greifen, lassen in Westerstede die erweiterte Kantorei, das mit professionellen Instrumentalisten vor allem aus Bremen und Hamburg bestückte Collegium Instrumentale, die Solisten und eben die Dirigentin spüren. Gastell besitzt neben ihrem ruhigen Enthusiasmus die Souveränität, die Musik weit ausschwingen zu lassen, sie aber auch kompakt zu fassen. Wenn der kultiviert und mit einem weiten dynamischen Radius singende Chor in Klangvorgaben der Solisten eintaucht, geht die vorherige intensive Arbeit auf.
Sarah Nagel profiliert ihren Sopran mit Fülle und Beweglichkeit in den Mendelssohn-Arien. Hier treten im Ensemble ausgewogen Tenor Christian Volkmann und Bass Paul David Lüschen hinzu. Die Altistin Julie Comparini vermag es in der Bach-Kantate sehr beglückend, die packende äußere Ausdruckskraft zu einer inneren Ruhe zu führen. Wie stilsicher an Details gearbeitet wird, zeigt der historisch belegte Orgeleinsatz (Peer Schlechta) anstelle eines Cembalos. Es tut sich viel in Sachen Kirchenmusik.