Oldenburg Die nackten Glühbirnen dienen im doppelten Sinne der „Erleuchtung“. Denn wer sich an einen der vielen kleinen Tische setzt, darf erwarten, dass ihm vom Gegenüber Wissenswertes vermittelt wird. Immerhin wurde der Experte oder die Expertin zuvor vom „Klienten“ gebucht und sogar bezahlt: ein Euro pro Gespräch. Nach 30 Minuten ertönt ein Gong, die Glühbirnen flackern: Klientenwechsel. Ähnlich wie beim Speed-Dating, nur ohne Romantik.
„Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ heißt das ungewöhnliche Theaterformat, das an diesem Freitag zum ersten Mal in Oldenburg und damit zum zweiten Mal in Niedersachsen stattfindet. Es ist das erfolgreichste künstlerische Projekt der Mobilen Akademie Berlin und gastierte in den vergangenen Jahren schon in rund zwölf Ländern, in Großstädten wie Paris, Wien, Liverpool, Dresden und Berlin. Die dazugehörige „Lizenz“ hat die Stiftung Niedersachsen vergeben.
Inszeniert wird das Ganze in einem strengen, vorgegebenen Rahmen. Weder das Bühnenbild noch die Raumarchitektur ist beliebig. Das große Oberthema lautet „Die neue Einwanderungsgesellschaft“. Davon ausgehend wurde auch für die Oldenburger Ausgabe ein eigener, etwas sperriger Titel formuliert: „Niemandsland – Migration und Grenzarbeit an den Rändern der Ordnung“. Eine Oldenburger Besonderheit ist nach den Worten von Gesine Geppert, Leiterin der Sparte 7 des Staatstheaters, die Aufteilung in eine Art „Doppel-Markt“: Die Gespräche finden in beiden Arenen der Exerzierhalle statt. Gegenüber in der Kulturhalle (ehemals Mohrmannhalle) können die Besucher die Tickets für ihre Expertengespräche kaufen.
Ein großes Faltblatt listet die Namen und Funktionen der „Experten“ auf, nach Stichworten alphabetisch geordnet – von „A“ wie „Aktivismus“ bis „Z“ wie „Zukunft“. Dabei ist der Begriff des „Experten“ genau so weit gefasst wie die „Ränder der Ordnung“ im Titel. Eingeladen wurden je 36 Frauen und Männer aus Wissenschaft, Kunst und Kultur, die aus privater oder beruflicher Perspektive etwas zum Thema vermitteln können.
Unter den Oldenburger Experten findet sich unter dem Stichwort „Terra Nullius“ (Niemandsland) beispielsweise der Autor Jochen Schimmang, der eine „poetisch-politische Betrachtung“ des Begriffs anbietet. Eher wissenschaftlich und regional dürfte sich ein Dialog zum Stichwort „Tabuzonen“ entwickeln: Der Medizinhistoriker Dr. Ingo Harms vermittelt unter der Überschrift „Heimat und Hakenkreuz“ seine Kenntnisse über die „völkische Vergangenheit der Region“.
Aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln erfahren Klienten etwas über das Jenseits: Dr. Tilman Hannemann, Religionswissenschaftler an der Uni Oldenburg, spricht über die „Verortung des Paradieses“ – das Jenseits habe sich von den Rändern der Welt ins Unbestimmte verzogen. Lucia Loimayr-Wieland dagegen, die als Sterbe- und Trauerbegleiterin arbeitet, wünscht sich „dass wir uns den Tod zurückerobern“. Um einen ganz anderen Grenzgang geht es dem Dokumentarfotografen Ilir Tsouko, der an Langzeitprojekten wie „The Balkan Route“ arbeitet, in dem er Flüchtende auf dem gefährlichen und beschwerlichen Weg begleitet.
Aus 180 Erzählungen können die Klienten an diesem Abend wählen. Da können sich schon mal lange Schlangen bilden und Experten ausgebucht sein. Feilschen ist erlaubt und sogar erwünscht, aber nicht nötig: Über Kopfhörer des Schwarzmarktradios können Dialoge auf acht Kanälen verfolgt werden.