Oldenburg Die wohl berühmteste Liebesgeschichte der Welt diente schon vielen als Steinbruch. Sie wurde tausendfach inszeniert, Generationen von Regisseuren haben sie zu entstauben versucht.
Shakespeares „Romeo und Julia“ wurde vertont, vertanzt und unzählige Male verfilmt. Und eben auch verhunzt. Die „unklare Quellenlage“, wie im Vorfeld angeführt wurde, nimmt Regisseur Karsten Dahlem im Großen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters offenbar als Freibrief für eine lauwarme Mischung aus Original, Fälschung und Veralberung, die sich einige Zuschauer allerdings schon zur Pause nicht mehr länger antun wollten.
Der Schauplatz Verona ist ein leerer Ort aus weißen, verschiebbaren Wänden hinter denen vier Streicher und ein Schlagzeuger sitzen, mal mehr, mal weniger versteckt. Die Musik von Hajo Wiesemann, von leise und klassisch bis schräg und ohrenbetäubend, erweitert die Szenerie, dient aber nicht unbedingt der Verständlichkeit. Wenn Klaas Schramm als Pater Lorenzo/Sprecher an der Rampe steht und ins Mikro röhrt, kann man den Text bestenfalls erahnen.
Optisches Zentrum der Bühne ist lange Zeit ein kleiner, kreisrunder Pool, über den sich später eine Regendusche senkt. Denn Wasser spielt für Dahlem und sein Team eine entscheidende, wenn auch unklare Rolle.
Zuweilen folgt die Inszenierung der Shakespeare-Handlung, doch die meiste Zeit den überdrehten Ideen und Gags von Dahlem, die sich etwas zu offensichtlich um ein Schulklassen-Publikum bemühen. Über weite Strecken wähnt sich der erwachsene Zuschauer im Jugendtheater.
Alexander Prince Osei als Romeo ist am stärksten, weil er nicht nur viel Originaltext sprechen darf, sondern auch stimmlich in der Lage ist, ihn zu transportieren. Von der kieksenden, eher kindlichen Julia (Katharina Shakina) – quasi als Ersatz für die „Balkonszene“ schlägt sie ein Loch in die Wand – lässt sich das nicht immer behaupten. Überhaupt schert sich der Regisseur wenig um Verständlichkeit, was da gebrüllt und gekreischt wird, könnte Shakespeare sein oder auch nicht.
Rajko Geith als Mercutio muss, ähnlich wie Johannes Lange als Benvolio, den derben Albernen spielen, spricht plötzlich Englisch, fasst sich wiederholt in den Schritt und wendet sich zum Sterben ans Publikum – „Guckt alle mal ganz doll her! Kann ich einen Spot haben?“ –, bevor er einen Beutel Theaterblut über seinem Kopf ausdrückt. Alles nur Theater? Genau, denn Agnes Kammerer als dunkler, fieser Tybalt ereilt kurz darauf dasselbe Schicksal.
Ein gestandener Schauspieler wie Thomas Lichtenstein fährt mit Rollator vor, der ihm hinterhergeschoben wird. In der winzigen Rolle des Grafen Paris muss er einmal laut und vernehmlich „Scheiße!“ rufen, was man nicht nur versteht, sondern auch nachvollziehen kann, und das nicht nur, weil die Ehe mit Julia in weite Ferne rückt. Warum aber Nientje C. Schwabe als Lady Capulet minutenlang an der Rampe ein gackerndes Huhn imitiert, bleibt rätselhaft. Nicht weniger irritierend ist die Perücke, die Jens Ochlast als Herr Capulet immer wieder von der Glatze rutscht. Nicht zu vergessen das unvermeidliche Video: Romeo und Julia gehen gemeinsam ins Schwimmbad. Während Osei und Shakina nebeneinander tauchen, spricht eine Stimme die unsterblichen Verse von Nachtigall und Lerche.
Mehr Distanz zu Shakespeare geht nicht. Aber auch diese bewusste Dekonstruktion wirkt letztlich halbherzig, denn wenig später trinkt Julia in aller Werktreue das vermeintliche Gift und endet das Ganze wie gehabt als Tragödie, diesmal nur in einer mitten im Spiel von Bühnenarbeitern freigelegten Badelandschaft. Doch halt, Dahlem verzichtet am Schluss auf Shakespeares versöhnliche Zugeständnisse zugunsten einer grundlegenden Erkenntnis: Hass und Gewalt kennen kein Ende.
Die Premiere dagegen erfreulicherweise schon. Der Applaus nach knapp drei Stunden inklusive Pause – keine fünf Minuten.