Locarno Wenn an diesem Samstag die Filmfestspiele in Locarno enden, wird nur einer der Filme mit dem Goldenen Leoparden aus dem Festival gehen – 16 Spielfilme und eine Dokumentation haben sich um den Hauptpreis beworben. Die Jury des Festivals unter der künstlerischen Leitung der Französin Lili Hinstin dürfte es sich nicht leicht gemacht haben. Denn es gab viel Gelungenes.
Zu denen, die hoffen dürfen, gehören die deutschen Regisseure Ulrich Köhler und Henner Winckler. In ihrem Spielfilm „Das freiwillige Jahr“ entwerfen sie anhand eines Vater-Tochter-Konflikts ein facettenreiches Gesellschaftspanorama. Sollte die Jury, in der auch die deutsche Regisseurin Valeska Grisebach mitarbeitet, Avantgardistisches ehren wollen, könnte die Wahl jedoch auf „Vitalina Varela“ von Pedro Costa (Portugal) fallen. Sein Porträt einer Frau in einem Armenviertel besticht mit einem geradezu magischen Bilderrausch.
Hoch gehandelt wird daneben der Spielfilm „Fieber“, eine brasilianisch-französisch-deutsche Koproduktion von Maya Da-Rin. Die Regisseurin aus Brasilien beleuchtet packend den Alltag eines indigenen Hafenarbeiters zwischen Anpassung und Ausgrenzung.
Will die Jury vor allem ein politisches Zeichen setzen, könnte die Wahl auf „Während der Revolution“ fallen, die einzige Dokumentation im Wettbewerb. Regisseurin Maya Khoury offeriert damit eine wuchtige Chronik ihrer Heimat Syrien zwischen 2011 und 2017. Für die Auszeichnung als beste Schauspielerin und bester Schauspieler gibt es ebenfalls mehrere Anwärter. Die Japanerin Mariko Tsutsui („Ein Mädchen wird vermisst“) und die von den Kapverden stammende Portugiesin Vitalina Varela („Vitalina Varela“) gelten als Favoritinnen. Bei den Männern liegen der Brasilianer Regis Myrupu in der Hauptrolle in „Fieber“ und der Portugiese Miguel Lobo Antunes als alternder Alarmanlagenbauer in „Technoboss“ vorn.
Im Wettbewerb der den Newcomern vorbehaltenen Sektion „Filmemacher der Gegenwart“ hat das deutsche Regie-Duo Elsa Kremser und Levin Peter mit der stilistisch eigenwilligen Doku „Space Dogs“ großen Eindruck hinterlassen. Wobei hier wie auch im Hauptwettbewerb gilt: Festival-Jurys entscheiden gern entgegen allen Erwartungen.