Modick: Oh ja, ich habe sein Werk von Anfang an verfolgt – meist mit großer Zustimmung, mitunter auch kopfschüttelnd. Auch einen längeren Essay habe ich einmal über ihn publiziert. Probleme bereiten mir nur jene Bücher von ihm, auf denen „Roman“ steht, aber gar kein Roman drin ist, wie beispielsweise „Mein Jahr in der Niemandsbucht“. Als ich hörte, dass Handke den Literatur-Nobelpreis bekommt, war ich hocherfreut: Endlich mal jemand nach meinem Gusto!
Modick: Das halte ich für vollkommenen Quatsch. Der einzige Text, der überhaupt in diesen Verdacht geraten könnte, ist der Bericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“. Staatliche Propaganda von einem Künstler oder einer Künstlerin gab es von Leni Riefenstahl, aber nicht von Peter Handke.
Modick: Das ist nicht akzeptabel. Schlimmer finde ich aber, dass Handke den Genozid von Srebrenica geleugnet hat. Aber ist er deshalb nicht würdig, den Nobelpreis zu erhalten?
Modick: Ja, kann man. Wenn man das nicht täte, würde man heute in keine Wagner-Oper mehr gehen dürfen. Was macht man mit Martin Luther, der ein rasender Antisemit war? Darf man deshalb die Luther-Bibel nicht mehr lesen? Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in dieser Hinsicht besonders widersprüchlich aufgefallen: Sie nimmt ein Nolde-Gemälde von der Wand, weil der Maler unbestritten ein bekennender Nazi-Mitläufer war, und fährt, ohne mit der Wimper zu zucken, nach Bayreuth, um sich eine Oper des Antisemiten Wagner anzusehen.
Modick: Ich finde es gut, dass durch die Zuerkennung des Nobelpreises an Peter Handke dieses Grundproblem unbeabsichtigt wieder ins Zentrum einer Debatte gerückt ist. Caravaggio war ein Mörder, William Burroughs hat seine eigene Frau erschossen, Polanski ist ein rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger, Woody Allen ein Kinderschänder.
Modick: Nach dieser Argumentation darf jemandem wie Handke, unabhängig von seiner literarischen Kompetenz, aus ethischen Gründen so ein Preis nicht verliehen werden. Da wird das eine mit dem anderen verrechnet. Diese Debatte verkennt, dass die Diskrepanz zwischen Leben und Werk, Ethik und Ästhetik in der Kunst- und Kulturgeschichte schon chronisch ist. Es gibt natürlich graduelle Unterschiede: zwischen Woody Allen, der angeblich Sex mit Minderjährigen hatte, oder einer Künstlerin wie Leni Riefenstahl, die sich einem mörderischen Regime zur Verfügung gestellt hat. Aber das ist Handke nicht vorzuwerfen.
Modick: Die Frage ist nur, inwiefern sich diese Gesinnung auf sein Werk auswirkt. Soweit ich das überblicke, ist da keine Sympathie oder Parteinahme für ein verbrecherisches Regime zu erkennen. Seine Parteinahme habe dem untergegangenen Jugoslawien gegolten, argumentiert Handke, zu dem er ja wegen seiner Familiengeschichte – seine Mutter kam aus Slowenien – eine sehr emotionale Beziehung hat. Slowenien und der Balkan waren für ihn immer Sehnsuchtsorte. „Gerechtigkeit für Serbien“ heißt ja auch der Text, nicht Gerechtigkeit für Miloševićc oder für die Mörder von Srebrenica. Seine Parteinahme verpackt er in eine Reisebeschreibung, die Beschreibung eines Landes und dessen Schönheit.
Modick: Absolut! Gewiss hat er ihn verdient. Und er bekommt ihn für sein literarisches Werk, nicht für eine Grabrede. Deshalb hat die Schwedische Akademie in Stockholm ihm ja auch den Literaturnobelpreis zuerkannt und schließlich nicht den Friedensnobelpreis.