Bremen In Bremen sind die Stadtmusikanten bekanntlich nie angekommen. Ein Happy End gab es dennoch für sie: Esel, Hund, Katze und Hahn, wegen ihres Alters ausgemustert, gelingt die Flucht, finden Stärke und Geborgenheit in der Gruppe und zum Schluss einen sicheren Ort. Märchenhaft schönes Glück, wie die Brüder Grimm es aufgeschrieben haben.
Vielleicht nicht ganz so märchenhaft, aber für ihn doch überraschend ist die Verwirklichung von drei Zielen rund um die Bremer Stadtmusikanten, die sich der Märchenexperte Dieter Brand-Kruth fest vorgenommen hatte. „Das hätte ich mir nie träumen lassen“, sagt der Bremer, „dass daraus so ein Riesending werden sollte.“
„Tierischer Aufstand“
Alles fing damit an, dass der Gymnasiallehrer für Deutsch und Biologie eine Doktorarbeit über das berühmte Märchen geschrieben hat: eine soziokulturelle Studie, 448 Seiten stark. Als sich das Jubiläum näherte – das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten erschien erstmals 1819 in der berühmten Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm –, begann der 56-Jährige aktiv zu werden und Institutionen zu kontaktieren.
Nun ist er mit knapp 100 Objekten aus seiner Sammlung einer der Hauptleihgeber für die Ausstellung „Tierischer Aufstand. 200 Jahre Bremer Stadtmusikanten in Kunst, Kitsch und Gesellschaft“ in der Bremer Kunsthalle, sein Buch – Folgeprojekt seiner Dissertation – ist in diesen Tagen erschienen, und vom 21. bis zum 23. Juni findet in der Hansestadt ein von ihm organisiertes Symposion zum Thema statt. Dass es noch ein zweites Buch dazu gibt („Die Bremer Stadtmusikanten in leichter Sprache“) und eine kleinere, zweite Ausstellung in der Stadtbibliothek macht das Ganze zum „Riesending“, das sich „verselbstständigt hat“.
Zu den Leihgaben, die Brand-Kruth der Kunsthalle zur Verfügung gestellt hat, gehören viele Schätze und Raritäten, die er im Antiquariat entdeckt und erstanden hat – etwa eine Erstausgabe der zweiten Auflage von Grimms Märchen aus dem Jahr 1819 oder eine Illustration von George Cruikshank von 1823, die die Eroberung des Räuberhauses durch die übereinandergestapelten, laut „singenden“ Tiere darstellt.
Daneben finden sich unter anderem auch das Modell einer modernen Skulptur, die der berühmten Darstellung von Gerhard Marcks in Bremen durchaus Konkurrenz macht. So hat die Oldenburger Bildhauerin Christa Baumgärtel ihre Interpretation der Pyramide aus Esel, Hund, Katze und Hahn im Jahr 1991 in Bronze gegossen. Heute steht die Skulptur in Riga vor der Petrikirche und wird genauso angestaunt wie das Pendant in Bremen.
Brand-Kruths Interesse an Märchen wurde schon vor Jahrzehnten geweckt: Noch während seines Lehramtsstudiums verbrachte er ein Semester in England und belegte ein Seminar, das Märchen analysierte („Analysis of Fairytale by Sigmund Freud“) und ihn begeisterte. Seine „Doktormutter“ in Bremen schlug ihm schließlich vor, über die Stadtmusikanten zu promovieren.
Bei den Brüdern Grimm tauchen die vier unverwüstlichen Tiere erst in der zweiten Auflage der „Kinder- und Hausmärchen“ von 1819 auf. Tatsächlich nimmt das Märchen, das auf drei Ursprungsfassungen zurückgeht, nach den Worten des Experten eine Sonderstellung ein. Zwischen 1819 und 1857 habe Wilhelm Grimm mehr als 20 Änderungen vorgenommen, so viele wie bei keinem anderen Märchen. Er habe Redewendungen und Sprichwörter eingefügt: „Das machte er nur bei denen, die ihm besonders am Herzen lagen.“
Sehnsuchtsort
Das ist bei Brand-Kruth nicht viel anders. Für ihn sind die Stadtmusikanten ein „Abbild des Lebens“, voller Botschaften und hilfreicher Strategien. Dazu gehört die Bedeutung von Solidarität oder die Lehre, dass es sich lohnt, sich auf den Weg zu machen.
Dass Bremen das Ziel der Stadtmusikanten ist, obwohl sie es gar nicht erreichen, leuchtet ein. Bremen sei damals ein „Sehnsuchtsort“ und die Hansestadt ein Sinnbild für Freiheit gewesen, sagt er. Schon damals suchten Auswanderer den Weg über die Weser nach Übersee. Auch gab es Musikanten, die von der Stadt bezahlt wurden, aber Ende des 18. Jahrhunderts in keinen guten Ruf mehr standen.
Mit Kakophonie konnte man also nicht nur Räuber vertreiben, sondern auch Geld verdienen.