München Den bekanntesten Satz seiner Laufbahn ist Christoph Daum nie mehr losgeworden. Auch zwei Jahrzehnte nach der sogenannten Kokain-Affäre, die ihn damals den Lebenstraum Bundestrainer-Job kostete, wird Daum regelmäßig gefragt, ob er „ein absolut reines Gewissen habe“. Mit genau diesen Worten hatte er in den extrem aufgeheizten Tagen im Oktober 2000 erklärt, warum er auf die Gerüchte um seinen Kokainkonsum einen Haartest folgen ließ. Wenige Tage später war Daum als Heilsbringer des deutschen Fußballs Geschichte, es folgte eine Hauruck-Flucht nach Florida und ein beispielloser Fall eines Erfolgstrainers.
Autobiografie verfasst
Im Oktober 2020 ist Daum wieder ein gefragter Mann. Nach der Veröffentlichung seiner Autobiografie „Immer am Limit“ reist er quer durch Deutschland, um für das Buch zu werben, das in ersten Überlegungen „Schnee von gestern“ heißen sollte. Den Tiefpunkt seiner Karriere hat der 66-Jährige längst hinter sich, aber nicht vergessen. „Das ging nach dem Motto: Hängt ihn jeden Tag noch ein Stückchen höher. Es wurde alles geschrieben, egal, ob die Dinge einen wahren Hintergrund hatten. Das war eine Horrorzeit“, erinnert sich Daum.
Obwohl er seit seinem Nationaltrainer-Job in Rumänien 2017 keinen Posten im Profifußball mehr hat, sieht Daum seine Karriere nicht als beendet an. „Wenn das richtige Angebot kommt, sage ich, bong, die Wette gilt, ich steige noch mal ein“, berichtet der gebürtige Zwickauer. Im Jahr 2021, wenn seine jüngste Tochter auszieht, sieht er sich und seine Frau Angelica auch örtlich flexibel aufgestellt, um noch ein Job-Abenteuer einzugehen. Anfragen habe es in jüngerer Vergangenheit einige gegeben. Doch Daum beschreibt, wie sich viele Interessenten nur „für den Namen Christoph Daum“ begeisterten.
Den Namen Daum wollte sich um die Jahrtausendwende auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) für seine schwer angeschlagene Nationalelf sichern, die Zusammenarbeit war für den Zeitraum ab Sommer 2001 fest vereinbart. Doch bei dem Verband, der damals mit dem Slogan „Keine Macht den Drogen“ warb, war Daum nach seiner positiven Haarprobe nicht mehr haltbar, auch bei Bayer Leverkusen musste er sofort gehen.
Weltenbummler Daum
Es folgten sportlich erfolgreiche Abenteuer in der Türkei und in Österreich, dubiose Verhandlungen in der Ukraine, eine Rückkehr in die Bundesliga und später Offerten von Mini-Staaten wie den Malediven, wo Daum gar eine Insel angeboten wurde. „Da habe ich gesagt: Hört mal zu, ihr zeigt mir die Insel vielleicht, wenn Ebbe ist und bei Flut ist sie weg. Da haben sie herzhaft gelacht und gesagt, Sie können ja vorbeischauen“, schildert Daum die Gespräche.
Der Coach, der von Branchenkollegen als „wahrer Anführer“ (Matthias Sammer) oder „der wichtigste Trainer für mich“ (Michael Ballack) bezeichnet wird, hat noch ein großes Ziel, das auch wegen der Affäre bislang unerfüllt blieb: Eine Teilnahme als Trainer bei einer EM oder WM. „Meine Erfahrung und mein Wissen“, antwortet Daum auf die Frage, was ihn im Rentenalter noch antreibt. Er könne sich Europa oder Afrika vorstellen, auch die USA würden ihn reizen, sagt er.
Weniger Typen
Daum kann noch heute stundenlang über Fußball referieren. Dass es heute weniger Typen wie ihn, Stefan Effenberg oder Mario Basler gibt, bedauert er. „Für mich war es immer so: Viel schlimmer, als dass ich hinterher richtig einen eingeschenkt kriege, ist, nicht dieses Ziel geäußert zu haben. Das ist heute ganz anders.“ Ein Spieler, der heutzutage derart breitbeinig auftrete, müsse überdurchschnittlich agieren: „Sobald der einen Fehler macht oder nicht so konstant gute Leistung bringt, wird der doppelt und dreifach weggenagelt.“