Wenn ein konservativer Wahlsieger mit einer illiberalen, rechtspopulistischen Partei eine Koalition eingeht, diese dann an der Illiberalität und dem Rechtspopulismus der Koalitionspartei scheitert, der Wahlsieger selber in mehrere Skandale verwickelt ist, vom Parlament das Vertrauen entzogen bekommt und bei der vorgezogenen Neuwahl trotzdem einen erneuten Wahlsieg verzeichnen kann, dann wissen wir, wir sind in Österreich. Und mit dem Wahlsieger ist natürlich Sebastian Kurz und seine ÖVP gemeint und mit der Koalitionspartei die FPÖ.
Österreich, das Land von Mozart, hat mit Sebastian Kurz nun endgültig ein weiteres Wunderkind. Diesmal nicht für die Musik, sondern für Europas Konservative. Ein Ex-Kanzler zum Anfassen, der weder mit politischen Leitlinien noch einem Programm lange Strecken seines Wahlkampfes bestritt, sondern eher darauf bedacht ist, sich eins zu machen mit den Wählern.
Er gab dann mal den Großstädter, wenn er in Wien war, mal den auf dem Land Geborenen, wenn er zwischen Alm und Bergspitze auf Wählerfang ging. Dass er tatsächlich gar nicht auf dem Land geboren ist, störte bei seinen Auftritten die Wenigsten.
„Einer, der unsere Sprache spricht“ war einer seiner Wahlsprüche, genauso wie „Einer, der am Boden bleibt“. „Einer, der jeden Tag mehrere Mahlzeiten zu sich nimmt“ und „Einer, der sich nach dem Besuch der Toilette die Hände wäscht“ wären noch zwei hübsche Optionen, um den Exzess der Belanglosigkeit, die aus den Wahlslogans sprechen, zu ergänzen.
Nur eines kann man der Inhaltslosigkeit der ÖVP nicht absprechen: dass sie funktioniert. Da kann man verstehen, dass die deutschen Unionsparteien gerne rüberschielen zu ihrer Schwesterpartei nach Österreich. Und auch konservative Zeitungen wie der Cicero fühlen sich dazu hingerissen, vom fehlenden Kurz in der CDU zu schreiben. Und natürlich ist es verlockend, wenn man auf die Wahlergebnisse schaut, von einem deutschen Sebastian Kurz zu träumen. Aber dieser war nicht nur der Kanzler, der die Konservativen wieder stark machte, er war auch der, der mit den Rechtspopulisten und Rechtsextremen koalierte und sie damit weiter im politischen Diskurs legitimierte.
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Er holte die rechte Gefahr in die Regierung, obwohl er die Auswirkungen hätte wissen können. So musste Österreich fast zwei Jahre lang eine rückschrittliche Politik ertragen, in der Arbeitnehmerrechte geschwächt und Sozialleistungen gekürzt wurden. Obendrein zeigte vor allem der FPÖ-Innenminister immer wieder seine zweifelhafte Auffassung zu Pressefreiheit, zum Beispiel, als sein Ministerium verlauten ließ, man solle mit kritisch berichtenden Medien die Zusammenarbeit auf ein Minimum beschränken. Der ehemalige Vizekanzler HC Strache gipfelt das im sogenannten Ibiza-Video mit seinen diffusen Vorstellungen von Demokratie und Pluralismus, an denen die Koalition letztendlich scheiterte.
Wer sich in Deutschland nach einem Wunderkind der Konservativen à la Kurz sehnt, muss das im Kopf haben. Denn auch diese großen Schattenseiten, die Skandale, der Populismus, die Intransparenz gehören genauso zum Konzept Kurz wie die wenigen Ideen für die Zukunft. Wir brauchen aber heute keine starken Alphas, keinen Traumschwiegersohn, nicht den Kumpel von nebenan als Kanzler, sondern Frauen und Männer mit progressiven Ideen, die den Problemen unserer Zeit gewachsen sind. „Die, die für die Zukunft arbeiten“ könnte der Wahlslogan sein.