Brake Neid und Gier, Missgunst, Geiz und Habsucht – so einigen der sieben Todsünden hat der plattdeutsche Autor Karl Bunje 1955 in seinem Theaterstück „Dat Hörrohr“ ein Denkmal gesetzt. Und damit der Zuschauer nicht in tiefe Depressionen verfällt machte Bunje daraus eine Komödie.
Auch die Niederdeutsche Bühne Brake hat sich des Klassikers, der dramaturgisch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts angesetzt ist, angenommen und feierte am Premierenabend im BBZ einen fulminanten Einstieg in die Spielzeit 2018/19: an dieser spielfreudigen Truppe und dem stimmigen Bühnenbild samt Requisiten hätte der Autor seine helle Freude gehabt.
Natürlich ist das Stück kein Paradebeispiel für feinsinnige Zwischentöne und psychologischen Tiefsinn. Im „Hörrohr“ wird geklotzt, nicht gekleckert und Regisseur Hans-Peter Blohm kann stolz sein auf ein Ensemble, das jede Rolle charakterlich auf den Punkt ausfüllte, ohne in schenkelklopfenden Klamauk zu verfallen.
Und darum geht es im „Hörrohr“: Jahrelang hat Schwiegertochter Bertha den Opa Meiners heuchlerisch in „Honnig un Sirup umdreiht“, um den Alten endlich auf die schriftliche Übergabe des Hofes zugunsten ihres Ehemannes einzustimmen. Als falsche Schlange mit gespaltener Zunge säuselt sie dem Schwerhörigen Nettigkeiten ins Hörrohr. Außerhalb seiner Hörweite ergießt sie sich in Hass und Geifer, immer darauf bauend, dass Opas olles Hörrohr längst den Geist aufgegeben hat. Opas Enkelin Elke und Knecht Bernd – beide in Zuneigung verbandelt – riechen den Erbschleicherbraten und tauschen das Hörrohr gegen funktionierendes Exemplar um. Für Opa Meiners eröffnet sich eine ganz neue Welt. Jetzt kann er ganz kommodig in seinem Ohrensessel sitzen und dem lauschen, was Bertha so ausklamüstert und was Briefträger Quadfasel und dessen Ehefrau Lieschen mit Pacht und Zins zu tun haben. Dass dann am Ende zwei Personen vom Happy-End ausgeschlossen sind, versteht sich von selbst.
Jürgen Schenk verkörpert den „Opa Meiners“ nicht nur überzeugend plietsch und eigensinnig; wenn er ächzend in seinen Ohrensessel fällt und stöhnend in die Knie geht, ahnen auch Jüngere die Widrigkeiten des fortgeschrittenen Alters. Dann: Schwiegertochter „Bertha“ – eine Paraderolle für Dagmar Heeren-Schenk – mit Lust spielt sie eine Frau, die für das Böse schlechthin steht. Hans-Dieter Becker ist als „Jochen Meiners“ perfekt in der Rolle des Pantoffelhelden und Dieter Meyerdierks ist als „Tobias Quadfasel“ auch nicht die hellste Kerze auf der Torte. Als „Lieschen Quadfasel“ reißt die herrlich komödiantische Anne Schröder das Publikum mit ihren schrillen und schadenfrohen Kieksern zu Lachsalven hin und dem zwielichtigen Hamburger Pleitier und Gastwirt „Arnold Hogeback“ verleiht Jann Blohm mit seiner großspurigen Gestik und dem halbseidenem Reeperbahn-Outfit einen zweifelhaften Charme. Die Jugend steht zum Glück für die Prinzipien Liebe, Hoffnung und Gerechtigkeit: Bühnenneuling Melanie Arnold (Opas Enkelin Elke) und Jan Borries (Knecht Bernd und Elkes Liebster) meistern ihre Auftritte mit sympathischer Unbefangenheit und last not least verleiht Tina Jacobs der „Notarin Fesenfeld“ würdige Kompetenz und Unbestechlichkeit.
Entsprechend der tollen Ensemble-Leistung fällt der Dank des Publikums begeistert und andauernd aus: langer Beifall, anerkennende Pfiffe und schließlich Jubel und stehende Ovationen – auch ohne Hörrohr gut wahrnehmbar.
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