Hannover Die Corona-Krise hat viele Menschen an den heimischen Schreibtisch geführt. Da liegt es nahe, sich legerer zu kleiden als zu normalen Bürozeiten. Schließlich sieht einen ja keiner, zunächst. Und für die Videokonferenz werfen wir schnell eine hübsche Strickjacke über, lassen die Wohlfühlhose aber an.
Wie beeinflusst ein solches Verhalten unsere Selbstwahrnehmung und unsere Produktivität? Arbeitet es sich im Business-Hemd wirklich besser? Mehrere Studien sagen: ja. Wer zum Beispiel hochkonzentriert bleiben muss, schafft das leichter in einem weißen Laborkittel, der mit einem Arzt assoziiert wird. Das fand ein Team von Psychologen in den USA im Jahr 2012 in einem Experiment heraus.
Im Homeoffice wird man sich nun zwar wohl kaum einen Arztkittel überwerfen. Coach Petra Lienhop aber meint: „Der Arbeitstag beginnt vor dem Kleiderschrank.“ Die entsprechende Kleidung steigere den Selbstwert. Und das Selbstbewusstsein und lasse einen produktiver arbeiten.
Allerdings muss das nicht für jeden gelten. Der Effekt sei auch davon abhängig, was man selbst mit der Kleidung verbindet, erklärt Carolin Pfau, Mitglied des Deutschen Coaching Verbandes: „Wenn ich es gewohnt bin, mir zur Arbeit einen Anzug oder Blazer anzuziehen, dann habe ich all die Jahre mit dieser Kleidung Arbeiten in Verbindung gebracht.“ Es könne damit Teil eines eingewöhnten Verhaltens sein, was dadurch höhere Produktivität zur Folge haben könne.
Wer sich vernünftig anzieht und an den heimischen Schreibtisch geht, trete innerlich in einen anderen Modus ein – eben die Berufsrolle, erläutert der Psychotherapeut Andreas Pichler. „Wobei es bestimmt Menschen gibt, die das im Schlafanzug hinbekommen.“ Es sei von der Selbstorganisationsfähigkeit, aber auch von der persönlichen Reife abhängig, wie weit man vom üblichen Muster abweichen kann.
Kleidung könne sogar unser Denken beeinflussen, weiß Camelia Reinert-Buss, Vorstandsmitglied des Deutschen Bundesverbands Coaching. Im Hosenanzug könne man sich klüger und mächtiger fühlen als im Jogginganzug. Ihrer Meinung nach reicht es aber aus, zur Bluse eine Jeans zu tragen. Das sei bei einem langen Arbeitstag bequemer.
Das Hemd über der Jogginghose ist dagegen Lienhop zufolge für eine entsprechende Wirkung zu wenig: „Wir sitzen und stehen ganz anders, wenn wir unsere Arbeitskleidung tragen als im Jogginganzug.“
Mit der Selbstwahrnehmung hat das Thema für Coach Carolin Pfau aber nur indirekt zu tun: „Es geht vor allem darum, was ich denke, welche Außenwirkung ich durch meine Kleidung erziele.“
Dazu gehörten verinnerlichte Glaubenssätze wie „Kleider machen Leute“ oder „Der erste Eindruck zählt“. Wer denkt, dass andere ihn oder sie in eleganter Kleidung als kompetenter und seriöser wahrnehmen, werde sich im entsprechenden Outfit wohler fühlen und damit kompetenter wirken.
Das Gegenüber habe den Gesprächspartner in einer bestimmten Kleidung im Kopf,, führt Andreas Pichler aus. „Selbst wenn ich nur telefoniere, ist es dann leichter, tatsächlich mit Hemd und Krawatte dazusitzen“, erläutert der Vorsitzende der Landesgruppe NRW-Nordrhein der Psychotherapeutenvereinigung. Darüber hinaus zeige es den Stellenwert des Gesprächs, wenn man nicht in seiner Freizeitkleidung am Rechner sitzt.
Kleidung helfe auch, sich abzugrenzen: „Das kann für das Umfeld oder den Rest der Familie ein Kennzeichen sein, dass man nicht für Privates ansprechbar ist“, sagt Pichler.
Wer sich umzieht, markiert so Beginn und Ende des Arbeitstages: Im Anzug räumt man eben nicht die Spülmaschine aus.