Westerstede Die Nähmaschinen rattern um die Wette. „Verflixt“, entweicht es Waltraud Carstens, „die Maschine ist verstellt. Das wird so nichts.“ Die gelernte Schneiderin aus Zwischenahn blickt auf den champagnerfarbenen Paillettenstoff, der sich arg zusammengezogen hat. Eigentlich soll aus dem schillernden Material ein Rock werden. Nun heißt es aber erst einmal, die verunglückte Naht aufzutrennen.
Waltraud Carstens gehört zu den Näherinnen des Westersteder Freilichttheaters. Seit Wochen treffen sich mehrere Frauen regelmäßig in der kleinen Nähstube unterm Dach im Jaspershof, um an den Kostümen für die neue Saison herumzusticheln. Einige haben sich das Schneidern zum Hobby erkoren, andere haben eine entsprechende Ausbildung absolviert.
Zu Letzteren gehört Erika Kruse. Seit zehn Jahren ist die Ocholterin Chefin der Nähstube. An diesem Nachmittag schneidet sie auf einem großen Tisch Filz und Stoff für rot-graue Kopfbedeckungen zu. Vor ihr liegen diverse Kostümzeichnungen und Schnittmuster. Derweil sortiert Barbara Büsing Hemdchen und Hosen nach Farben und hängt sie auf eine Kleiderstange. Die Petersfehnerin ist neu im Team. Alle anderen sind „alte Hasen“.
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Um einen Hasen geht es unter anderem in dem Stück, für das die fleißigen Frauen die Bekleidung kreieren. „Alice im Wunderland“ wird vom 9. Juni an auf dem Alten Markt vor der St.-Petri-Kirche aufgeführt. Einen Tag später hat dort „Hammerschläge in Westerstede“ Premiere. „In ungefähr zwei Wochen fangen wir an, dafür zu nähen“, sagt Erika Kruse. Momentan hat die „Alice“-Garderobe Vorrang.
Helga Hannibal verziert ein blaues Kleid, das demnächst die Titelfigur tragen wird, mit weißen Rüschen. Auf dem Platz neben ihr ist Annegret Schubert-Bruns dabei, warme fleeceartige Jacken für vier Grinsekatzen zu nähen. Elke Welp – die Dienstälteste in der Damenriege und Herrin über den Fundus – sucht aus Gläsern farblich passende Knöpfe für eine rote Bluse.
„In der letzten Maiwoche wollen wir die Kostüme fertig haben“, berichtet Erika Kruse. Die Anproben stehen dann auf dem Plan. Die Kostümproben sind etwa eine Woche später. Bis dahin müssen Saumlängen und Taillenweiten passen.
Die Nähestube – so klein sie auch ist – ist ein Paradies für Handarbeiterinnen. Auf den Regalen finden sich Garnspulen in jeder nur erdenklichen Farbe. Schnallen, Knöpfe, Litzen – alles vorhanden. Dazu viele schöne Stoffe.
„Einige bekommen wir gespendet, andere müssen wir selber kaufen“, sagt Kruse, die bis vor 15 Jahren eine Änderungsschneiderei führte. Für „Alice im Wunderland“ hat sie mehr als 60 laufende Meter angeschafft; die Bahnen sind in der Regel 1,40 Meter breit. Allein für das Gewand der Königin müssen drei Meter Brokat und drei Meter Unterstoff verarbeitet werden. Der König wird immerhin noch in fünf Meter Stoff gehüllt.
Waltraud Carstens hat sich eine andere Nähmaschine gesucht. Fix geht ihr jetzt die Arbeit am champagnerfarbenen Paillettenrock von der Hand.